Beim Hennersdorfer SV schlägt ein junger Flüchtling auf. Für den Präsident des Kreissportbundes der richtige Weg: Aufnahme beginnt an der Basis - schon seit den 90er-Jahren.
Von Holk Dohle
erschienen am 08.11.2016 in der Freien Presse, Lokalen Flöha
Hennersdorf. Das "Hallo" klingt steif, als Soheil Kolahkaj zu den fünf jungen Männern in den VW-Bus steigt. Einer mit kahl geschorenem Kopf hat ihm schon durchs Fenster zugenickt. Auf der Fahrt von der Flüchtlingsunterkunft bis zur Sporthalle nach Zschopau, wo die Truppe für die SpG Hennersdorf/Milkau an der U20-Bezirksmeisterschaft im Volleyball teilnimmt, wird nicht viel geredet. Erst in der Umkleide- kabine, als die Trikots verteilt werden, benehmen sich die 16- bis 19-Jährigen wieder wie Jugendliche ihres Alters. "Wie heißt du? Soheil?"
Soheil Kolahkaj ist im Januar aus dem Iran geflüchtet. Allein. Ohne seine Eltern und seinen kleinen Bruder. "Ich musste weg. Ich wäre sonst getötet worden", sagt der 16-Jährige. Er stamme aus einem gut situierten Elternhaus. "Meine Mutter ist Ärztin. Mein Vater baut Häuser und verkauft sie." Und er selbst habe eine "sehr gute Schule" besucht. Seine Eltern seien Muslime - wie 99,4 Prozent aller Bürger des Iran, der mit rund 75 Millionen Einwohnern zu den 20 bevölkerungsreichsten und größten Staaten der Erde gehört.
"Ich wollte aber keine Moslem sein", sagt Soheil, dem der Terror radikaler Gruppen wie der Islamische Staat nicht verborgen blieb. "Ich liebe die Menschen. Und da mir Religion wichtig ist, bin ich Christ geworden." Wohlwissend, welche Folgen das in seiner Heimat haben kann. Denn für den Abfall vom Glauben droht Muslimen im Iran die Todesstrafe. Kurz vor seinem 16. Geburtstag landete Soheil im Gefängnis. Mit 18 Jahren hätte er dem Henker vorgeführt werden können. Sein Vater habe einen Arzt bestochen, "damit er bescheinigt, dass ich haftuntauglich bin", berichtet er. Nach der Verlegung in ein Polizeikrankenhaus sei ihm die Flucht gelungen.
In Sicherheit war der junge Christ jedoch nicht. Es folgte eine einmonatige Tortur. Mit einem Boot, mit Bussen und zu Fuß sei er Ende Januar über die Balkanroute nach Deutschland gekommen. "Mehr möchte ich nicht sagen. Es war schlimm, sehr schlimm." Über München landete Soheil im Erzgebirge, wo er zusammen mit anderen minderjährigen Flüchtlingen im ehemaligen Landgasthof "Damm-Mühle" bei Lengefeld untergebracht ist. Dass er statt in einer Großstadt auf dem Dorf gelandet ist, störe ihn nicht. "Ich bin in Sicherheit, das ist am wichtigsten."
Und er habe sich eingelebt. "Innerhalb von vier Monaten habe ich Deutsch gelernt. Zurzeit absolviere ich ein berufsvorbereitendes Jahr, um 2017 eine Ausbildung zum Bürokaufmann zu beginnen. Später möchte ich studieren", sagt Soheil, der allen Menschen, die ihm in Deutschland helfen, dankbar ist. "Heimleiter, Vormund, Lehrer, Pfarrer und und und." Am meisten geholfen, in der Fremde Fuß zu fassen, habe ihm aber Volleyball.
Da es sich schnell herumgesprochen hatte, dass Soheil in seiner Heimat in der höchsten Nachwuchsliga am Ball war, dauerte es nicht lange, bis er auch beim TV Reifland am Netz stand. Mit dem Neuzugang aus dem Iran ist das Team nach dem 3. Spieltag ungeschlagener Tabellenzweiter der 1. Erzgebirgsklasse Mitte. Beim Hennersdorfer SV schlug der 16-Jährige ebenfalls schon auf. "Soheil hat Talent und kann zusätzlich zum Engagement in Reifland gern weiter bei uns trainieren. Als Spieler für die Männermannschaft ist er aber noch kein Thema", sagt Udo Haußmann, Spielertrainer des Sachsenklasse-Teams aus dem Augustusburger Ortsteil.
Im U20-Team der SpG Hennersdorf/Milkau gehörte Soheil zu den Leistungsträgern. Zwar blieb die neu formierte Truppe bei der Bezirksmeisterschaft ohne Sieg, dafür gewann der Schwarzschopf Freunde. Auf der Rückfahrt ins Heim tauscht er mit den Jungs die Handynummern aus. Sie quatschen, lachen, scherzen. "Klar, kann ich schon Sächsisch", sagt Soheil: "Wurscht."
Dass Sportvereine bei der Integration von Flüchtlingen helfen, sei schon länger gelebte Praxis, sagt Volker Dietzmann, Präsident des Kreissportbundes Mittelsachsen. Seit den 1990er-Jahren gebe es ein Integrationsprojekt beim Landessportbund. "Zudem informieren wir Vereine über verschiedene Förderprogramme. Wir geben Tipps und Ratschläge, wie Vereine Flüchtlinge integrieren können."